Digitale Kulturvermittlung

Liebe Blog-Nutzer,
hier kommt ein etwas längerer Beitrag zu meinen Erkenntnisse eines Forums zur Digitalen Kulturvermittlung im Rahmen der Tagung Netz macht Kultur Mitte Juni.

Im Rahmen des Kongresses „Netz macht Kultur“ der Kulturpolitischen Gesellschaft am 8. und 9. Juni gab es u.a. ein von mir moderiertes Forum zum Thema „Digitale
Kulturvermittlung durch Museen und Ausstellungen“ In diesem Forum ging es um die Frage, ob und wenn ja mit welchen Mitteln und Strategien das Web 2.0 und andere digitale Medien eine Bereicherung für die Kulturvermittlung von Museen sind bzw. werden könnten.

  • Welche Ziele verfolgen die Institutionen mit ihren Vermittlungsaktionen im Netz?
  • Welche Wirkungen erzielen sie und welche digitalen Vermittlungsmethoden haben sich als
    erfolgreich erwiesen?
  • Bietet das Netz neue Chancen für das Audience Development, weil Museen damit neue, vor allem jüngere Interessenten für ihre Ausstellungen, ob virtuell oder real gewinnen können?
  • Oder lenkt das Netz vom realen Erlebnis mit sinnlich erfahrbaren Objekten ab und verhindert tendenziell, dass Museen ihr Alleinstellungsmerkmal, die authentische Begegnung mit realen Objekten, ausspielen können?

Als Expertinnen waren eingeladen:
Sybille Lichtensteiger, Geschäftsführerin des Stapferhauses Lenzburg in der Schweiz, ein Kulturzentrum, das seit vielen Jahren zu übergreifenden gesellschaftlichen Themen
eigene Ausstellungsinhalte erarbeitet und mit sehr innovativen ausstellungsdidaktischen und ästhetischen Formaten umsetzt. Aktuell präsentiert das Stapferhaus die Ausstellung „Home. Willkommen im digitalen Leben“ – eine Ausstellung darüber, wie die Digitalisierung unsere Leben und unsere sozialen Beziehungen verändert, die zwar nicht im Netz präsentiert wird, aber sehr viele digitale Tools verwendet und mit Aktivitäten im Netz verbunden ist.

Dr. Regina Franken-Wendelstorf, Projektkoordinatorin der Forschungsgruppe Informations- und Kommunikationsanwendungen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in
Berlin, die verschiedene digitalen Ausstellungsdidaktiken für das Jüdische Museum in Berlin sowie deren mobile Schülerversion erarbeiten ebenso wie für weitere Museen. Dabei wird in interdisziplinären Teams gearbeitet, wo Informatiker auf Geisteswissenschaftler, Kuratoren und Museumspädagogen treffen. Zukünftige Aufgaben liegen vor allem in der Entwicklung von 3D Ausstellungen sowie von virtuell begehbaren Archiven, um die vielen im realen Raum nie gezeigten Schätze der Archive zu präsentieren.

An sehr konkreten Beispielen wurde in dem Forum darüber diskutiert, ob das Netz eine Bereicherung für Kulturvermittlung im Sinne kultureller Bildung sein kann, weil es eigene Aktivität und Kreativität der Nutzer herausfordert und kulturelle Selbstbildungsprozesse stimuliert oder ob es eher die weitere Zerstreuung fördert statt die Konzentration, die für Bildungsprozesse notwendig ist.

Folgende generellen Potentiale der digitalen Kulturvermittlung wurden auch in den Präsentationen der entwickelten digitalen Vermitttlungs-Tools noch mal deutlich:

  • Unabhängig von Ort und Zeit sind Informationen in unterschiedlicher Differenzierung für jeden frei zugänglich.
  • Es gibt keine Barrieren sozialer, physischer, finanzieller Art.
  • Interaktion statt passiver Rezeption; Konsumenten/Besucher können in die Entwicklung von Inhalten als Produzenten einbezogen werden, Museumsinhalte können gemeinsam
    mit interessierten Besuchern entwickelt werden.
  • Kultur des Netzes ist eine des Selberdenkens, Selbermachens, Ausprobieren, Suchen,
  • Fehlermachen
  • Persönliche Relevanz: Statt interesselosem Vorbeischlendern an Ausstellungsvitrinen eigene Beteiligung und Verknüpfung der individuell gewählten Objekte mit eigenen Ideen

Folgende Strategien wurden deutlich:

Vermeidung von Informations-Overload

Die Anwendung digitaler Medien verursacht tendenziell eine noch größere, nicht vorstrukturierte und letztlich unüberschaubare Menge an Informationen. Der Vorteil digitaler Medien, dass sie dem Nutzer eine große Vielfalt an potentiell abrufbaren Informationen bieten, wird zum Nachteil dergestalt, dass dieser überhaupt keine Orientierung mehr hat, was er auswählen soll aus dem riesigen Menü, denn er ist ja kein Experte für das Thema. Auch beim Einsatz digitaler Medien braucht es also Kultur-Vermittler, die eine Vorauswahl treffen, die evtl. Interessen des individuellen Nutzers vorher abfragen (so geschehen bei der Ausstellung „Home„) und daraufhin individuellere passgenauere Rundgänge und Informationsvemittlungen durch eine Ausstellung
zusammenstellen können.

Zusammenspiel von analogen und digitalen Medien
Die Verbindung von realen, sinnlich erlebbaren Objekten mit virtuellen Anwendungen, in denen sich etwas Neues gestalten lässt oder ein Objekt benutzen und mit der eigenen Person in Verbindung bringen lässt, erwiesen sich in verschiedenen Ausstellungskontexten als wirkungsvoll. So gibt es im Kontext der Ausstellung Home im Stapfehaus das Projekt Home 2.0, wo User im Netz eingeladen werden, Filme zum Thema zu produzieren und auf die Plattform zu stellen, die dann auch in der Ausstellung gezeigt werden.

Für das mobile jüdische Museum wurde eine Anwendung entwickelt, in der man verschiedene religiöse Kopfbedeckungen virtuell auf den eigenen Kopf setzen kann und sich selbst damit in neuen Outfits und Rollen erleben kann. In der Ausstellung über Kosheres Essen konnte man mit einem digitalen „Löffel“ während der Ausstellung Informationen aufladen und damit zu Hause über das Internet Kochrezepte und Hintergrundinformationen dazu abrufen. Über die digitale Anwendung in der Ausstellung konnte das Gesehene vertieft werden und die Besucher wurden über ihre virtuellen Souvenirs dazu angeregt, sich zu Hause noch mal mit den Inhalten des Museums zu beschäftigen. In dem Fall dienen digitale Tools nicht dazu, neue Besucher zu generieren, sondern Besucher zu binden.

Dialogische Kommunikation mit den Besuchern
Interesse entsteht immer dann, wenn Besucher selbst aktiv werden können, so die Beobachtung beide Expertinnen, so wurden etwas die I-pad-Audioguides der Ausstellung „Home“ so gestaltet, dass dort nicht nur Monolog zu hören sind, sondern Fragen an die Besucher gestellt werden, diese über Sachverhalte ihre Meinung äußern und zu bestimmten Problemstellungen abstimmen können.

Teilhabe und Mitbestimmung der Nutzer
Am wirkungsvollsten ist Besucherbindung immer dann, wenn diese tatsächlich auch mitbestimmen können über Inhalte und Präsentationsformen. So bieten die Online-Communities des Städel-Museum in Frankfurt a. M. neben der Möglichkeit, eigene Kunst-Hitlisten anzustellen und sich eine individuelle Ausstellung mit den Städel-Kunstwerken im Netz zu kuratieren, auch die Möglichkeit abzustimmen über Kunstwerke, die in Vermittlungsaktionen und Führungen behandelt werden. Wenn Besucher mehr Einfluss nehmen können auf die Arbeit von Institutionen, erfordert das natürlich auch ein Umdenken der Unternehmenskultur, weil die Professionellen damit Einfluss abgeben und auch mit Entscheidungen leben müssen, die sie selbst nicht optimal finden.

Mein Fazit:
Die für die digitale Kulturvermittlung genannten Prinzipien sind im Wesentlichen Qualitätsprinzipien für Kulturvermittlung generell und jede Art von Kulturvermittlung. Neue mediale Technologien bieten neue Möglichkeiten der Umsetzung – sie sind jedoch nicht per se wirkungsvoller als andere, analoge Medien und Methoden Es geht also nicht unbedingt darum, die Kulturvermittlung zu digitalisieren, sondern eher darum Kulturvermittlung generell einen höheren Stellenwert zu geben und sie zu professionalisieren auch mit Hilfe der digitalen Medien.

Birgit Mandel